Vom 29. September bis zum 02. Oktober fand in Berlin der 114. Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) statt. Mit dem Symposium „Aus Fehlern lernen“ gab es diesmal ein ganz neues Format. Im vollen Von-Graefe-Saal beleuchteten die Referenten aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Wir hatten Gelegenheit, den Präsidenten des Kongresses und der DOG, Prof. Horst Helbig, zu der Veranstaltung zu befragen.
—
Prof. Helbig, mit dem Formats „Aus Fehlern lernen“ betrat die DOG Neuland. Empfinden Sie es als Befreiung, einmal öffentlich sagen zu dürfen: „Ja, auch uns passieren Fehler“?
Ja, in gewisser Weise schon. Eine Aura der Unfehlbarkeit vor sich her zu tragen, kann ja auch als belastend empfunden werden. Fehler sind menschlich, sie passieren überall und jedem, sogar Ärzten. Die Patienten können sehr viel besser etwa mit einer Komplikation umgehen, wenn man als Mediziner offen erklärt, dass nicht alles glatt gelaufen ist. Schwierig wird es immer dann, wenn Spekulationen, Misstrauen und Unausgesprochenes im Raum stehen. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.
Wie kam es zu der Entscheidung, dieses sensible Thema aktiv auf die Tagesordnung zu hieven?
Mich haben Berichte von Kollegen inspiriert, die längere Zeit im angelsächsischen Raum zubrachten. Sie waren zunächst sehr erstaunt über den offenen Umgang dort mit Fehlern, beispielsweise in England. Es schien, als würden sich die britischen Mediziner geradezu gegenseitig darin übertrumpfen wollen, ihre größten Missgeschicke intern zur Diskussion zu stellen. Das ist jetzt bewusst ein wenig überspitzt formuliert – im Kern geht es natürlich darum, dass der offene Umgang mit Fehlern die beste Methode ist zur künftigen Vermeidung derselben.
Wie ist denn die Resonanz unter den Mitgliedern und Kolleginnen und Kollegen? Aufgeschlossenheit oder Ablehnung?
Vermutlich gemischt. Ich denke, man darf bei einem solchen Thema nicht mit ungeteilter Zustimmung rechnen. In Deutschland ist eine offene Fehlerkultur unter Ärzten ungewohnt, zum Teil auch aus Haftpflichtaspekten. Für die Unterstützung durch meine Kollegen, die vorangehen und sich diesem ungewöhnlichen Format in diesem Jahr mutig stellen, bin ich jedenfalls sehr dankbar. Und natürlich gespannt, wie die Sitzungen auf dem Kongress angenommen werden.
Im transparenten Umgang mit dem Thema „Fehler“ steckt ja auch ein starkes Signal an Patientinnen und Patienten, nämlich: „wir nehmen unsere Verantwortung wahr und kehren nichts unter den Teppich“. Haben Sie trotzdem Sorge, dass ein solches „Eingeständnis“ kritische Stimmen auf den Plan ruft?
Von Seiten der Patienten meiner Einschätzung nach eher nicht, wie schon erwähnt. Kritische Stimmen wird es aber sicherlich geben. Jeder Kulturwechsel ist mit Widerständen verbunden und begleitet von Einwänden, die ja teilweise auch ihre Berechtigung haben.
Wird das neue Format in Zukunft regelmäßig angeboten?
Das hängt zu einem guten Teil von der Resonanz ab. So verfahren wir ja seit Jahren generell mit neuen, innovativen Formaten auf dem DOG-Kongress: Was gut angenommen wird, behalten wir bei.