Veröffentlicht am 3. Oktober 2019

Selbsthilfe als fester Anker: Interview

Am vergangenen Wochenende fanden in Hamburg die Selbsthilfetage des Deutschen Schwerhörigenbund e.V. statt. Unter dem Motto „DazuGEHÖRen – besser hören, mehr verstehen, leichter leben“ gab es im Bachsaal des Hamburger Michel ein abwechslungsreiches Programm.

Auch vor Ort: Dr. Nobert Böttges, der vierJahre lang im Vorstand tätig war und dessen Artikel „Hör-Sehbehinderung“ gerade in der neuen Ausgabe des „Servicebuch Auge“ erschienen ist. Wir trafen Dr. Böttges zu einem kurzen Gespräch.

Herr Dr. Böttges, seit 1901 gibt es den Deutschen Schwerhörigenbund – wie wichtig ist die Selbsthilfe heute noch für schwerhörige und ertaubte Menschen?

Hörverlust ist nach wie vor kein Pappenstiel. Werbung und Versprechen der Hörsystem- und CI-Hersteller täuschen darüber hinweg, dass auch bei modernster Technik Hördefizite bleiben. Diese führen zu Unverständnis, Ausgrenzung und Rückzug, verbunden mit entsprechenden psychischen Belastungen. Die Selbsthilfe bietet für die Betroffenen einen festen Anker, wo sie auf Gleichbetroffene treffen und mit ihnen über ihre Erfahrungen sprechen können.

Ein Workshop beschäftigte sich mit dem Thema „Schwerhörigkeit und Demenz“. Worauf sollten Betroffene und Angehörige in diesem Zusammenhang achten?

Vorsicht vor neuer Stigmatisierung! Hörschädigung führt nicht zur Demenz. Weil sie ähnliche Symptome haben, werden Hörverlust und Demenz nur – wie sich zeigt, auch in der Wissenschaft – gerne verwechselt. Betroffene sollten sich nicht zieren, bei ersten Anzeichen eines Hörverlusts diesen anzugehen und sich aktiv an Hörgeräte zu gewöhnen. So sind sie gut gerüstet, damit das Tor nach außen sich nicht schließt, wenn im Alter Pflege oder Demenz hinzutreten. Und Angehörige sollten – bei manchmal durchaus verständlicher Ungeduld – die wichtige Brücke der Kommunikation nicht unbedacht abbrechen oder verkümmern lassen.

Auch eine Seh- und Hörbehinderung ist immer wieder Thema, vor einigen Jahren hat der DSB zusammen mit der PRO RETINA Deutschland e.V., der Co-Herausgeberin des „Servicebuch Auge“, ein gemeinsames Papier dazu verfasst. Was ist Ihr 1.000-€-Ratschlag für Menschen, die sich mit beiden Beeinträchtigungen konfrontiert sehen?

Hören und Sehen sind jedes für sich wichtige Pfeiler unserer Orientierung im Alltag und unseres seelischen Wohlbefindens. Leiden beide Sinne, brauchen beide gleichwertigen Ausgleich. Achten Sie auf die Abhängigkeiten von Hören und Sehen. Und fordern für beides bestmögliche Therapien und Hilfsmittel ein!

In Ihrer täglichen Arbeit beraten Sie in Köln im Rahmen der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB). Was sind die spezifischen Teilhabebeeinträchtigungen von Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung?

Hörverlust führt nicht nur zu Kommunikationsproblemen im Gespräch. Hörverlust sperrt auch von Gesellschafts-, Bildungs-, Kultur-, Sport- und Vortragsangeboten aus. Nicht selten kommen Ohrgeräusche oder Schwindel dazu. Hier sind nicht nur technische und medizinische Maßnahmen gefragt, sondern auch Zuhören und geduldige Begleitung, um wieder festen Boden unter den Füßen zu erlangen.